„Deutsch ist ein Adjektiv. Das deutsche Volk ist gleichsam doppelt gemoppelt. Denn Deutsch heißt völkisch. Ins Neuhochdeutsche übersetzt. Kommt von dem alten Wort aus der Karolingerzeit überliefert ‚Theodisc‘, althochdeutsch, das heißt: in der Sprache des Volkes. Was anderes heißt das nicht. Und die Deutschen sind die, die in ihrer Sprache sprechen. Was ihre Sprache dann ist, das wird damit nicht ausgedrückt. Die Sprecher dieser Sprache waren Bayern, die sprachen bayerisch, waren Alemannen, sprachen alemannisch, waren Franken, sprachen fränkisch, und so weiter.“
(Johannes Fried, Mittelalter-Historiker, bis 2009 Lehrstuhl in Frankfurt a.M.)
In seiner „kurzen Geschichte der deutschen Sprache“ geht J. Bär von erstmals in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts dokumentierten, zur germanischen Sprachfamilie gehörenden Schreibsprachen aus, die als Vorstufe des Deutschen gelten können. Auch Bär verwendet nicht die traditionelle Bezeichnung althochdeutsche Periode (etwa 750-ca. 1000) der deutschen Sprachgeschichte, sondern bevorzugt für sie ebenfalls die Bezeichnung theodisk. Althochdeutsch blendet seiner Meinung nach die sprachhistorisch relevante, nur wenig jüngere altniederdeutsche (auch: altsächsische) Schreibtradition aus, während sich theodisk sowohl auf hoch- wie auf niederdeutsche Sprachzeugnisse beziehen lässt. Bei den gefundenen Dokumenten handelt es sich nämlich nicht nur um einen einzigen, sondern um mehrere ganz unterschiedliche Schreibdialekte, von denen nur einige zum Hochdeutschen zu rechnen sind bzw. die Sprachformen dokumentieren, bei denen die zweite Lautverschiebung vollzogen ist.
theodisk – diutsch – deutsch
Ab etwa dem Jahr 1000 taucht die schriftlich belegte Form diutisc, ab dem 12. Jahrhundert dann diutsch (gesprochen: dütsch mit langem ü) auf. Beide lassen sich etymologisch aus der femininen, heute ausgestorbenen, Form diot, diet (Volk, Volksstamm) erschließen (Vornamen wie Dietrich, Dieter oder Dietlind sind letzte Denkmäler dieser Silbe). Sowohl zur germanischen Vorform theoda (die allerdings nicht belegt ist) als auch zu diutisc lässt sich das Adjektiv theodisk bilden, das dann wörtlich so viel wie völkisch, d.h. volkhaft, nach Art des Volkes, dem Volk zugehörig bedeutet haben muss.
Die Lautverschiebung Das Hochdeutsche bildete sich im Unterschied zu den übrigen germanischen Sprachen und Dialekten (auch zum Niederdeutschen) durch die „zweite oder hochdeutsche Lautverschiebung“ heraus. Am Ende der Völkerwanderungszeit, wahrscheinlich zwischen dem 6.-8. Jahrhundert nach Chr., veränderte sich das Konsonantensystem zum zweiten Mal: u.a. wurde p und pp zu pf, t zu s und k zu ch, so dass z. B. engl. plough und apple gegenüber dt. Pflug und Apfel steht, engl. that gegenüber dt. das und engl. make gegenüber dt. machen. |
Gut belegt ist dagegen seit Ende des 8. Jahrhunderts die mittellateinische Entsprechung theodiscus, die aber ebenfalls nicht deutsch in unserem landläufig verwendeten Sinne bedeutet, sondern volkssprachlich (= die Sprache, die das Volk spricht, während die Gelehrten Latein sprechen).
Sprache des Volkes könnte theoretisch im karolingischen Frankenreich also durchaus auch eine romanische Volkssprache, z. B. Altfranzösisch, gewesen sein. Der älteste theodiscus-Beleg aus dem Jahre 786 zeigt allerdings, dass es sich eher um Sprachen der germanischen Sprachfamilie handelte.
Das Wort diutsch bedeutet später dann sprachliche Gemeinsamkeit (nicht aber sprachliche Einheit): immer noch bezeichnet der Begriff die Unterscheidung in eigene Sprache und fremde Sprachen (v.a. Latein und Altfranzösisch).
Die Volkssprache, Sprache des Volkes, hielt nun aber für die meisten Inhalte schlicht die entsprechenden Wörter nicht bereit und musste viele Ausdrücke aus den klassischen Sprachen, vor allem aus dem Lateinischen, übernehmen. Schon vor Beginn der deutschen Sprachgeschichte überhaupt wurden also Fremdwörter entlehnt und in die Sprache aufgenommen.
Herausbildung der Formen
Wie ihre germanischen Vorstufen gehört die Sprache Diutsch des 8. und 9. Jahrhunderts zum synthetischen Sprachentyp mit einem vollständigen flexionsmorphologischen System. Deklinations- und Konjugationsformen erkennt man an spezifischen Endungen, weshalb Substantive prinzipiell keinen Begleiter brauchen, der ihren Kasus und Numerus anzeigt. Die Begleiter der Substantive, die im späteren Deutschen der bestimmte Artikel werden, bilden sich nach und nach heraus – in dem Maße wie sich die spezifischen Endungen verwischen und wegfallen. Der bestimmte Artikel entsteht dabei aus dem Demonstrativpronomen ther / thie / thaz. |
Dass diese zuerst „eingewanderten“ Wörter inzwischen wie einheimische klingen und aussehen, erklärt sich aus dem großen zeitlichen Abstand: Die älteren Fremdwörter haben inzwischen verschiedene Lautwandelerscheinungen durchlaufen und wurden von den Sprechern assimiliert.
Was die Übernahme von Wörtern aus anderen Sprachen angeht, war schon damals – bis heute daran nicht viel geändert – die Verwendung „fremdsprachlichen Wörter“ ein Zeichen für Bildung und Kultiviertheit, mit der an glänzen konnte. Dass es dabei zu falscher Aussprache und Verwendung kam und kommt, sehen und hören wir jeden Tag. Den Zusammenhang zwischen Weltläufigkeit einer Sprachgemeinschaft und dem Grad der Fremdwortassimilation könnte man auch so formulieren: Je höher der Grad der allgemeinen Bildung, desto weniger werden Fremdwörter eingedeutscht.
Ich springe in die Reformationszeit, die ja in deutschen Landen nicht nur die Spaltung der katholischen Kirche brachte, sondern auch die Übersetzung der lat./gr./hebr. Bibel ins Deutsche. Welches Deutsche? – Regional unterschiedliche Schreibvarietäten galten bis dato nicht als Verletzung der Norm, sondern waren sogar normal. Aus der sprachlichen Vielfalt resultierte keine Forderung nach sprachlicher Einigung und perfekter Beherrschung einer Sprachform. Bis jetzt galt vielmehr die prinzipielle Kompetenz in mehreren verschiedenen Varietäten als erstrebenswert, d.h. es herrschte Multilingualität sowohl in der Gemeinschaft als auch individuell. Die sich treffenden Sprachen veränderten sich dabei in gegenseitigem Einfluss lautlich und lexikalisch, veränderten sich auch voneinander weg, so dass es zu neuen Varietäten kam.
Im hochdeutschen Sprachgebiet lehnen sich im 15. Jahrhundert verschiedene Schreibsprachen einander an, allerdings andere als noch Ende des 12. Jahrhunderts. Im Zuge der deutschen Ostbesiedlung hatten sich spätestens seit dem 11. Jahrhundert deutsche Siedler aus wirtschaftlichen und sozialen Anreizen in slawisch bevölkerten Gebieten niedergelassen. Dort waren – während das Altreich auseinandersplitterte – großflächige, zentral regierte Territorialstaaten entstanden, in denen einheitliche Verwaltungen mit einheitlichen Schreibgewohnheiten existierten. Ein ostmitteldeutsch-nordoberdeutsch-ostober-deutscher Schreibverbund entstand, der sich vom Westoberdeutschen unterschied. In bestimmten Textsorten etablierte sich in der Folgezeit immer stärker eine konzeptionelle Schriftlichkeit, die nicht nur in einer sehr elaborierten Syntax (Ausbau der Nominalphrase und der Satzklammer), sondern in einer „Vertikalisierung“ des Varietätenspektrums (O. Reichmann) mündete. Heißt: Dialekte bzw. Basisvarietäten wurden zu Sprachen unterer Schichten. Die nun einsetzende Bemühung um die Durchsetzung sprachlicher Normen geriet zu einem Statussymbol, insbesondere des wirtschaftlich und teils auch politisch mächtig werdenden Stadtbürgertums. Die Erfindung des Buchdrucks, die Einführung des Papiers bedeuteten darüber hinaus ein neues, aber sehr aufwendiges Medium – die teuren Drucke mussten in einer Sprache verfasst sein, die möglichst viele Menschen lesen konnten. Damit fielen Dialekte und kleinere Sprachen als Buchsprachen aus.
Hier tritt Luther auf den Plan. Da er nun seine Meinung über die katholische Kirche möglichst weit verbreiten wollte, entschied er sich dafür, für die Übersetzung der Bibel die Sprachform der sächsischen Kanzlei zu adaptieren. In ihr fand er eine weithin gültige Varietät mit großem Prestige vor, und machte sie mit seiner Bearbeitung noch allgemeiner verständlich und einfacher. Lange wurde Martin Luther als der Schöpfer der neuhochdeutschen Schriftsprache gesehen, inzwischen sieht man das differenzierter: Nicht allein die ostmitteldeutsch-nordoberdeutsch-ostoberdeutsche Schreibsprache ist Grundlage der neuhochdeutschen Schriftsprache.
Nach der Reformation spaltete sich die politische Landschaft Deutschlands nicht nur aus partikularistischen Interessen auf, sondern noch zusätzlich aufgrund von Glaubenskontroversen: In den katholischen Süden und den protestantischen Norden. Es kam zu etlichen Sprachreformen, bei denen u.a. Justus Georg Schottelius (1612-1676), Johann Christoph Gottsched (1700-1766) oder Johann Christoph Adelung (1732-1806) maßgeblich mitwirkten. Einzelheiten an dieser Stelle nicht. Worin es mündete? – Was wir heute als die klassische Literatursprache kennen, wurde vor allem durch Schiller und Goethe, deren Werke seit dem 19. Jahrhundert als nationales Eigentum galten – zur kulturellen Vorbildsprache. Die Sprache Goethes – die der Dichter und Denker. Und doch gab es nach wie vor verschiedene Schrift- und Schreibvarietäten, die erst mit der Schreibnormierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts staatlicherseits vereinheitlicht wurden. Auf einer Konferenz im Jahr 1871 waren der Germanist Wilhelm Wilmanns und der Gymnasiallehrer Konrad Duden zugegen. Beide waren aufgrund von Arbeiten zur Orthographieregelung bekannt, hatten vor allem Vorschläge zur Rechtschreibung an Schulen vorgelegt.
1901 wurde schließlich auf der Orthographischen Conferenz der deutschen Länder, in die alsbald auch Österreich und die Schweiz eintraten, die einheitliche Rechtschreibung für den gesamten deutschen Sprachraum gültig.
Und jetzt?
Die Grammatik des Deutschen als Gesamtsystem ist – nach tiefgreifenden Veränderungen, die sich im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit vollzogen hatten – in der Periode des mittleren Deutschen einigermaßen konstant geblieben.
Damit sich die Strukturen einer Sprache, die wir allgemein als Grammatik bezeichnen, ändern, sind noch andere Faktoren wirksam. Auch das sprechen wir an.
Sollte sich jemand für die Wanderung und Verwandtschaft der Sprachen interessieren: hier gibt es mehr.