… unter pädagogisch-didaktischen Aspekten
Lernprozesse laufen in Phasen oder Stufen ab – das haben wir bereits mehrfach erwähnt. Keine dieser Phasen oder Stufen kann oder sollte ausgelassen, vorgezogen oder übersprungen werden. Diese Vorgabe bringt zwangsläufig mit sich, dass wir als Didaktiker uns der Erwerbs- und Lernreihenfolge von Strukturen, Morphemen oder anderen Sprachelementen genauer annehmen müssen.
Als Beispiel der Stufenorientierung (jetzt im Sinne der Erwerbsstufe) ziehen wir den Erwerb der Stellung des finiten Verbs in einem deutschen Satz heran.
Sprecher auf der Stufe I beginnen mit der neutralen Wortstellung
Subjekt – Prädikat – weitere Angaben
Ich komme aus Italien.
Auf der Stufe II treten vorangestellte adverbiale Ausdrücke hinzu:
Zeitangabe – Prädikat – Subjekt – weitere Angaben.
Zum Frühstück esse ich ein Brötchen.
Auf der Stufe III führen wir z.B. die trennbaren Verben ein – das finite Verb steht an Position 2 im Satz, das Präfix am Ende. Diese Satzklammer gilt es dann später mit den Modalverben und dem Perfekt zu sichern.
Subjekt – finites Verb – weitere Angaben – infinite Teile/Präfixe
Die Party fängt um 8 Uhr an.
Auf Stufe IV üben wir die Inversion als Weiterführung der Stufe 2 mit den finiten und infiniten Teilen der Verben:
Umstandsangabe/Zeitangabe – finites Verb – Subjekt – weitere Angaben – infinite Teile/Präfixe
Zuerst hole ich die Kinder vom Kindergarten ab.
Erst danach – auf der Stufe V – geht es an die Endstellung des finiten Verbs in den Nebensätzen:
Konjunktion – Subjekt – weitere Angaben – infinite Teile – finite Teile
…, weil ich in Deutschland studieren möchte.
Diese Erwerbsreihenfolge stellt sich selbst dann ein, wenn die relevanten grammatischen Regeln im Unterricht in einer anderen Reihenfolge eingeführt und eingeübt werden. Man könnte sie somit als natürliche Erwerbsreihenfolge bezeichnen. Zu Lernhemmungen des Schülers kommt es dann, wenn der Lehrer durch verfrühtes Einführen komplexerer Strukturen dieser natürlichen Erwerbsreihenfolge entgegensteuert (Gegentraining). Lerner fallen auf ihre Null-Fehler-Stufe zurück, wenn sie mit Grammatikerklärungen und -übungen konfrontiert werden, die zwei oder mehr Stufen voran liegen, und damit für sie unlernbar sind.
In unserem Kontext heißt das: Zurückkehren auf die Stufe, auf der die Strukturen gesichert und fehlerfrei angewendet werden, und von dort nochmals stufenweise aufbauen. Dieser Prozess kann an einem kurzen Beispiel in kurzer Zeit zu Beginn einer Unterrichtseinheit gesichert und komprimiert nachgeholt werden. Das ist das Prinzip, an dem sich die stufenweise Bewusstwerdung nach LETHE orientiert.